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22
Mar
10

From Dust till Lust till Dawn – Burning Man 2004 – A Personal Encounter


Wir schreiben die letzten Augusttage 2004. Mit ein paar Freunden bin ich das zweite Mal auf dem Weg nach Nevada, Black Rock City, der Stadt, die es nicht gibt. Black Rock City, der Ort des Burning Man Festivals, wird seit zwanzig Jahren jedes Jahr zur viertgrößten Stadt Nevadas. 30.000 Menschen, die ein Woche bleiben um “Burning Man” zu zelebrieren und dann wieder gehen – ohne eine Spur zu hinterlassen. Burning Man ist aber weit mehr als nur ein Festival. Es ist ein Phänomen, eine ökologische Utopie, eine Zusammenkunft selbsterwält-priviligierter Outcasts, ein Avantgarde-Fest des radikalen Selbst-Ausdrucks, alternativem Sex-Tourismus, ein non-kommerzieller Ausnahmezustand und Potlatch-Kultur in einem. Es ist ein Ort, der geschaffen wurde um im Nichts zu verschwinden.

Black Rock City liegt mitten in der Salzwüste Nevadas, 150 Kilometer von der Casino-Stadt Reno gelegen und gleich hinter Gerlach. Der kleine Wüstenort entstand aus einer kleinen, ehemals deutschen Siedlung. Heute sieht es in Gerlach aus wie in einem zeitlosen, US-amerikanischen Roadmovie: verwehte Häuser, in dessen sandigen “Vorgärten” Alte mit zu Berge stehenden Haaren auf quietschenden Schaukelstühlen wippen; an den Straßenrändern ragen alte Automobil-Skelette aus dem Sand wie in die Erde eingeschlagene Meteoriten. Öffentliche Plätze, die die Wüstenbewohner – oder besucher mit der Außenwelt verbinden sind eine rostige Tankstellen-Anlage und eine Telephonzelle. Dort sind wir jetzt angekommen. Ein Mann in einem silbernen Metallkostüm und einem Spike-Helm steht in der Kabine und telefoniert. Die Szenerie original wie die eines Science-Fiction Film. Und zwar eines ganz bestimmten: Mad Max und die Telefonhäuschen-Teleportation.

Nach unserer Wegbeschreibung biegen wir nach dem nächsten Busch rechts ab und sehen eine ewig weite Wüstenlandschaft, an dessen Horizont sich Bergketten wie Tigertazzen krümmen. Dazwischen, ein staubiges Meer und eine flimmernde, konturlose Zelt-Stadt. Es könnte auch eine Fata Morgana sein. Über der Szenerie gleiten Fallschirmspringer auf die Stadt zu. Auch das eine der vielen Wege, die nach Black Rock City führen.



Am Eingangportal begrüsst uns eine Meerjungfrau und eine wandelnde Dusche. Höflich werden wir gefragt ob wir noch Burner-Jungfrauen sind. “No, my fair lady, we’ve been here before”. Wir werden aufgefordert aus dem Auto zu steigen, so laut wir können eine Begrüßung in die Stadt zu rufen und im Anschluß das Geräusch einer Klospülung zu imitieren. Neben der Dusche nämlich steht eine Toilettenschüssel mit imaginärer Spülung, deren Aktivierung den Ungeduldigen Einlass gewährt. Und dann sind wir drinnen. In der Playa. So wird der weiße Salz-Wüstenboden genannt, der so hart ist wie festgetretener Lehm ist und doch noch soviel weißen Staub aufwirbelt, dass er sich in Haare und Poren festsetzt und alle Burner wie skurrile Nachfahren von Einstein aussehen lässt. Normale PKWs dürfen auf der Playa nicht fahren. An ihrer Stelle bewegen sich fahrende Schiffe, selbst gebaute Roboter-Kutschen, überdimensionale Cadillacs und wandernde Kraken. Mit fünf Meilen pro Stunde cruisen die art cars 24 Stunden am Tag durch die Playa. Dort tönen uns Welcome-Rufe entgegen. Neu-Ankömmlinge werden sofort entlarvt, wegen ihrer staublosen Haare, ihrer reinen Haut.

Unser Camp in dem rund ein Dutzend Burner leben, heisst Bob’s Rainforest und bietet staubfeine Wasserssprenkler für die Vorbeikommenden. Langsam kommen wir an, begrüssen unseren Nachbarn, der bereits einen Tausch-Flohmarkt installiert hat, trinken, rauchen, bauen auf, begrünen unseren Regenwald mit künstlichen Grünpflanzen. Aus unserem Kofferraum und dem Truck, mit dem Freunde das größere Gepäck von Kalifornien nach Nevada gefahren haben, packen wir aus: für jeden mindestens 50 Gallonen Wasser (pro Tag werden, um der Dehydrierung in der trockenen Hitze der Wüste vorzubeugen, 5 Liter Trinkwasser empfohlen) , Schattenspender, Planen, Kisten voller (Astronauten-)Nahrung, Fahrräder und andere fahrbare Untersetzer, eine selbst gebastelte Couch, Holz, Seile, Schlafsäcke, Gasflaschen, einen Generator, Zelte, jede Menge alter Klamotten, Kostüme, eine Solardusche und Geschenke, Geschenke, Geschenke.

Gaben-Ökonomie

In Black Rock City kann man nicht mit Geld bezahlen. Die Playa-Währung besteht aus Wasser, Geschenken, Geschichten, Performances, Kunst, Kondomen, Lippenbalsam, Massagen, Rezepten, Schminke, Essen etc. Die Geldwirtschaft ist durch eine Tauschwirtschaft aufgehoben. Gibt man, muss man nicht unbedigt nehmen. Das heisst eine Gabe erfordert nicht unbedingt eine Gegen-Gabe. Unzählige Male boten mir Menschen Fußbäder, Essen, Lieder, Kondome und Geschichten an. Andere Male wiederum, besonders wenn es sich um etwas handelte, dass ich gleich haben wollte, so wie diese eisgekühlte Bloody Mary, die es an einer Wüsten-Bar gab, auf deren Dach gerade eine Band spielte, wurde ich zu gleichzeitiger Gegenaktion aufgefordert. Was in diesem Fall lediglich darin bestand ein rotes Kleidungsstück vorzuweisen. Ein andermal als mir eine Drag Queen den geplatzten Schlauch meines Fahrrads flickt, schminke ich sie im Gegenzug. Für ein paar Bögen weißes Papier, tanze ich im Postamt kurz darauf eine polnische Polka. Eine Währung, mit der ich auf der Playa häufig bezahle. Der französische Soziologe Bordieu nennt diese Währung auch kulturelles oder symbolisches Kapital.

Ein anderer Franzose mit dem Namen Marcel Mauss hat das Prinzip des Gaben-Tausches anhand mehrerer nicht-induustrieller Gesellschaften soziologisch und ethnologisch erforscht. Für Mauss ist der Austausch von Gaben ein “System der totalen Leistung”, da es für ihn totale gesellschaftliche Aktivitäten der Reziprozität artikuliert, ein gleichzeitig ökonomisches, juristisches, moralisches, ästhetisches, religiöses, mythologisches und sozio-morphologisches Phänomen. Mauss’ Gaben-System unterliegt dabei einer obligatorischen Dreierverpflichtung: wer gibt, muss nehmen und wer nimmt muss erwidern. Eine Bewegung, die laut Mauss, eine Frieden und Gemeinschaft stiftende Wirkung besitzt. Auch wenn diese Dreierverpflichtung bei Burning Man nicht immer Bestand hat und oft viel laxer gehandhabt wird, macht sie auch für die Playa Sinn. Besonders dort, wo sich institutionsähnliche Bereiche wie das Volunteering für das Post Office oder die Pflege, Transport und Installation von Öllampen usw. entwickelt haben. Dort arbeiten Individuen ohne etwas dafür zu verlangen. Sie arbeiten dort, weil sie geben wollen. Weil sie niemand dazu zwingt. Statt Agressionen und Hierarchien setzen sie gute Energie frei und werden dafür gefeiert. Die Anerkennung der Leute, macht sie gewissermaßen zu Privilegierten.

Potlatch Kultur

Hinter der Ökonomie des Schenkens steckt eine Philosophie, die in einer der zehn Principles von Burning Man festgehalten ist: “In order to preserve the spirit of gifting, our community seeks to create social environments that are unmediated by commercial sponsorships, transactions, or advertising. We stand ready to protect our culture from such exploitation. We resist the substitution of consumption for participatory experience.”
Larry Harvey, der Gründer Burning Mans, hat die Kunst der Gabe in einem Radiointerview (siehe unten) einmal so beschrieben: “Gifting is not about being good, or being altruistic. I don’t even believe in altruism. But about something in you that has to be shared with somebody. Why making gifts? Because for greater acess to being. When we give, we become real. Our appetite makes us real.”
Burning Man ist Verschwendung, Freigabe, Freisetzung von Energie. Kulturelle Produkte wie Kunstwerke, Tempel, Installationen, Möbel werden gebaut und wieder zerstört. Akkumuliert wird, um den Ballast zu zerstören, zu ent-sorgen. Es geht um Verschwendung. Ein Experte für die Idee der Verschwendung ist der französische Philosoph und Ethnologe Georges Bataille. In seiner “Aufhebung der Ökonomie” hat er einmal gesagt: „Die Verschwendung ist vernünftig nicht zu rechtfertigen, darum ist sie verpönt, und doch ist sie dringend erforderlich, nicht nur um das Verlangen nach Exzess und Erregung zu befriedigen und so die Gemeinschaft stabil zu halten, sondern mehr noch, weil der Reichtum Schaden anrichtet, wenn er gehortet wird.“

Auf der Playa wird vieles gelebt, was Bataille in der Theorie erörtert. Eine seiner Theorien besagt, dass wir einerseits etwas verschenken, verlieren oder vernichten müssen. Das Geschenk aber sei unsinnig (und wir würden uns nie dazu entschließen), wenn es nicht die Bedeutung eines Erwerbs hätte. Schenken hieße also, eine Macht erwerben. Aber eine Macht, die aus dem Verzicht auf eine Macht besteht, könne nicht für sich allein erworben werden: Wenn es den Gegenstand einsam und in aller Stille vernichtete, so wüchse ihm daraus keinerlei Macht zu, das wäre nur eine Aufgabe von Macht ohne Entschädigung. Wenn es aber einen Gegenstand in Anwesenheit eines anderen vernichtet oder verschenkt, so hat der, der ihn hingibt, für den anderen effektiv die Macht, zu verschenken oder zu vernichten. Die Tatsache keine Verpflichtung zu haben Geschenke zu erwidern, verbindet einen logischerweise stärker mit seiner Umwelt, als die Verpflichtung Güter mit Gleichwertigem wie beispielsweise eine Zahnpasta im Drogeriemarkt zu kaufen. Tatsächlich trägt die Wirtschaftsweise auf der Playa von Black Rock City zu einem konstanten Kontakt mit der sozialen Umgebung bei. Konsum wird durch Anschluss ersetzt. Kaufen durch Treffen. Und ganz nebenbei kreiert die Community Black Rock Citys dabei Kultur aus Fremden. Vielleicht ein Grund, weshalb für mich Burning Man immer einen erlebnis-pädagogischen, wenn auch sehr experimentellen Beigeschmack hatte. Ein Gesellschaftsexperiment, ein Abenteuer-Spielplatz mit gesellschafts- und konsumkritischen Impetus, einer zirkulären Tauschwirtschaft und der Lust zur Verschwendung.


Der Homo Verschwendicus und die Konsum-Kritik

Die Bewohner von Black Rock City haben Durst, nicht nur weil tagsüber die Temperaturen oft 50 Grad übersteigen. Ihre Kehle ist trocken vor der Langeweile, die der Massenkonsum in ihnen erzeugt, ihnen dürstet nach Alternativen, nach einem Leben, das dem grenzenlosen Kommerz einen filigran tätowierten Stinkefinger in einer grenzenlosen Wüstenlandschaft entgegenhält. Statt mit den finanzorientierten Kapitalsorten, hantieren die Burner in der Stadt ihrer Wahl angekommen lieber mit symbolischen und sozialem Kapital, mit Kreativität, Ideen und Kultur. Um die Freiheit zu bekommen, die die Weite der Wüstenlanschaft verspricht, nehmen sie eine staubige Kehle in Kauf und löhnen eine nicht unerhebliche Summe für den Eintritt in die Welt, in der das Wort “unmöglich” aufgehört hat zu existieren. Das ist schön, aber insofern ambivalent, als dass es sich Menschen mit einer löchrigen Geldbörse kaum leisten können, die teuren Eintrittskarten zu kaufen und die nötigen (Überlebens-)Utensilien mit Pick-Ups und Trucks oder gar Flugzeugen mit in die Wüste zu kutschieren. Auch Kaffee und Eis zum Kühlen kann auf der Playa durch bares Geld erworben werden. Umstände, die Larry Harvey, der Initiator Burning Mans damit begründet, dass sie nötig seien, um die Realisation des Events zu gewährleisten.
Aber im Grunde genommen wird natürlich auch auf der Playa konsumiert was das Zeug hält, angefangen bei dem Energieraufwand, der nötig ist für eine Woche eine Stadt mit beispielsweise Strom für elektrisch abgenommene Musik, Kühltruhen und Licht zu versorgen, bis hin zu allerlei psychoaktiven Substanzen. Wer gedacht hat die Kritik am Homo Öconomicus generiert eine weniger verausgabende Konsumkultur, wird auf der Playa enttäuscht werden. Dafür wird dort wird der Homo Öconomicus zu Burning Man transformiert, zum Homo Verschwendicus.


Critical Titts und Sex on the Playa

Liebe und Sex gibt es auf der Playa überall. Nach dem Prinzip “Verschwende deine Lust”, kommt hier jeder Liebesbedürftige auf seine Kosten. Ob in Form von tanzend korpulierenden Hippies im Center Camp, Liebe machenden Menschen auf dem Wüstenboden, dem plüschigen Pussy Cat Tent, in dem Sex visuell und praktisch erlebt wird, SM-Camps oder einfach nur intimen, flüchtigen Bekanntschaften. Burning Man ist ein Ort an dem freie Sexualität nicht propagiert, sondern gelebt wird. Es gibt Camps, die aus dem Begehren eine Wissenschaft machen, ein Spiel für Forscher und Beforschte. Experimentierfreude und sexuelle Befreiung zählt. Ein unangenehmer Nebenaspekt sind so genannte Playa-Touristen, die in ihrem voll ausgestatten Caravan und Bermuda-Shorts nach Black Rock City kommen, in der Hoffnung eine paar heiße Flirts abzubekommen. Ein umso angenehmeres Happening ist die Critical Titts Parade. Einmal in dieser Woche fahren Tausende barbüsiger Frauen auf ihren Fahrrädern durch die Stadt und zelebrieren das Frau-Sein für sich in der Öffentlichkeit.

The Thunderdome

Anarchie hat ihre Regeln. Im Thunderdome, dem Schauplatz des Kampfes entscheidet die Death Guilde. Große, geschminkte Männer in schwarzer Lederkluft, Nieten und schweren Boots treten in den Ring. Sich ihrer mächtigen Schritte bewußt, verbreiten sie die Aura von letzten Schiedsrichtern. Ich hänge irgendwo an der Kuppel des stählernen Gestänges. Hier ist jeder Platz ein Logenplatz. Die Gäste, die dem Kampf beiwohnen und neben, über und unter mir in die Arena starren, bilden eine Menschenteppich, der sich schützend über die Arena legt. Ich beobachte die Deathguilde in Zeitlupe. Es ist still um mich. Nur der feine, von den Schritten der Deathguild aufgewirbelte Staub der Playa schwirrt durch die Luft. Die Ketten an den Stiefeln der Deathguild klirrt. Stimmlos tauschen sie Worte aus. Dann werden die zwei Kontrahenten eingelassen und bis zu Beginn des Kampfes von der Death Guilde an jeweils zwei elastischen Seilen zurückgehalten, die an den Dachstreben befestigt sind. Die Konstruktion sieht aus wie eine Baby-Laufschaukel, nur ohne Sitz. Kampfeslust liegt in der Luft. Jeweils zwei Death Guilder flankieren die selbst ernannten Krieger der Postmoderne. Beide Kontrahenten haben Knüppel in der Hand. Die Wahl ihrer Waffen oder, ob sie überhaupt welche verwenden, ist ihnen überlassen. Die Death Guilde mischt sich in solche irdischen Belange nicht ein. Vielleicht haben sie keine Sympathie für die, die sich überschätzen oder die, die sich unterschätzen, aber es gehört nicht zu ihrer Aufgabe die Last dieser menschlichen Entscheidungen zu tragen. Diese Handlungsweise verleiht ihnen eine gewisse Überlegenheit. Geradezu, als würden sie über den Dingen stehen.

Die Kontrahenten hätten genauso gut Gitarren nehmen können oder Wasserpistolen. Aber diesmal werden Knüppel herhalten. Die Waffe des einen sieht aus wie eine MacLite. Das Publikum wird wacher. Angesteckt von der freigesetzten Energie der Kontrahenten, der Spannung, fangen sie an zu brüllen, rütteln am Gestänge. Die Kontrahenten wirken jetzt wie eingesperrte Tiere in einem Käfig. Kurz bevor die Situation ins Unerträgliche steigt, erscheint ein gefallener Engel in der Mitte der Arena. Das Geschlecht dieses Wesens ist nicht eindeutig bestimmbar, aber sehr feminin. Lange schwarze Haare fallen über die freien Schultern. Der Engel trägt einen kurzen, zerfetzten Lederrock, schwere Stiefel und schwingt einen Stab mit einem schwarzen Tuch. Die Bewegungen seines Instruments, sind elegant und leicht. Ihre Leichtigkeit dominiert die Schwere der Szene. Wie wenn der Blick während des Orchester-Spiels auf dem Dirigenten haftet. Mit einer letzten grazilen Verbeugung, bei der der Engel seinen Stab von hinten nach vorne in die Mitte der Kontrahenten schwingt und die Erde berührt, ist der Kampf eröffnet. Das Publikum brüllt, die Opponenten auch. Ich fühle mich wie der Augenzeuge eines Fight Clubs, Beobachter eines neu interpretierten Lucha Libre. Wie auf Affenschaukeln schwingen die Kämpfer aufeinanderzu, prallen aneinander, treffen den anderen mit ihrer Waffe aber nur selten. Es ist heiß in der Arena und das ist nicht nur die Sonne, die auf uns niederbrennt. Die freigesetzte Energie treibt uns Schweiß und Staub in die Augen.



Der Tempel-Burn

Die Lust an der Verschwendung hat bei Burning Man nicht nur einen ökonomischen, sondern auch einen philosophischen und spirtuellen Aspekt: Tod und Wiedergeburt, existentielle Momente, die unser Leben so sehr prägen wie nichts anderes. Momente, die uns daran erinnern, dass das Leben eine Art Zwischenzustand ist, liminal, wie es der Ethnooge Victor Turner im Rahmen seiner Ritual-Theorie ausdrückte. Das Leben als ewig Vergängliches: Der Mensch, der lebt und stirbt, schafft und zerstört. Das Symbol auf der Playa für diesen Schwellenzustand, das Transzendentale, ist der Tempel. Er ist Transitor, temporäres Zentrum nahestender Verstorbener. Das architektonische Meisterstück wird jedes Jahr neu entworfen und wochenlang in akribischer Kleinstarbeit gebaut. Während der Woche wird er von vielen besucht, die Erinnerungen zurücklassen wollen, Tote beklagen, Wünsche an ihre Götter oder das Universum schicken. Das Holz im Innern wird im Laufe der Woche beinahe vollständig beschrieben, überall hängen Bilder meistens mit Bildnissen von Verstorbenen. Dann, am letzten Tag, dem Sonntag, einem Tag nach der großen Party, der Verbrennung des Man, fällt auch der Tempel einem beabsichtigten Brand zum Opfer. Wenn der Tempel brennt, knackt und quietscht das Holz. Als ob der Tränenpalast weint. Die Luft fiebert. Sie ist schwer, beladen mit Vergangenheit. Und es scheint als ob viele Burner gekommen sind um dieser Last Erleichterung zu verschaffen. Ihr Herz brennt und reinigt sich dabei. Beim Temple Burn 2002 tanzten zuerst zwei und dann insgesamt fünf Dust Devils (dt: Windhosen, Staubwirbel) durch und um den brennenden Tempel. Ein verrücktes, imposanteste Spiel der Natur mit der Kultur bei dem vielen, die drum herum standen die Münder offen standen. Ein Moment, den Patti Smith in “Spell” besungen hat: “Holy time in eternity holy eternity in time holy the clocks in space holy the fourth dimension holy the fifth International holy the Angel in Moloch! Holy the sea holy the desert holy the railroad holy the locomotive holy the visions holy the hallucinations! Holy the miracles holy the eyeball holy the abyss!”


Heilig ist für die Macher von Burning Man die Natur. Deshalb besagt eines der zehn Principles keine Spuren zu hinterlassen. Wer geht, darf kein Haar, keine Nußschale, nichts hinterlassen. Auch Brandspuren werden entfernt. Black Rock City soll wieder Tabula Rasa werden. Trotzdem machen sich noch manche Burner die Mühe tiefe Löcher aus dem harten Wüstenboden auszuheben um dort ihren Müll zu deponieren. Ökologische Fau-Pax um die sich dann die Burning-Man-Crew kümmert, die Jungs und Mädels die das Festival Monate vor dem eigentlichen Event aufbauen und Monate danach mit der entgültigen Auflösung der Stadt beschäftigt sind, deren Haut nach Monaten der Vor- und Nachbereitung wie Leder wird die Blicke so stechend wie Wüstensonne. Die ökologischen Fußabtritte, die Burner durch den Transport von Menschen und Gegenständen, Verbrennungen von Kunst etc. verursachen, stehen in keinem Verhältnis zu der hochgepriesenen ökologischen Ethik. Oder wie passt der Burning Man Airport nahe der Playa in dieses Denken?

Twisted Minds

Burning Man verkörpert die Schizophrenie einer Gesellschaft, die nach integrativen, alternativen Lebensmodellen sucht und sie nur in der Isolation der Mehrheitsgesellschaft findet, in der Wüste, weit ab von den Metropolen. Widersprüchlichkeiten gibt es bei Burning Man soviele wie Staub auf der Playa. Ein Burner beschrieb seine ambivalente Haltung zu dem Event deshalb so: “You love it and hate it at the same time.” Ein(e) bloggende(r) Burner(in) geht noch weiter und betrachtet die Teilnahme an Burning Man als eine Erhöhung ihres Status: “Burning Man ist ein Mythos, Dabeisein ein Privileg” Trotzdem, die offene, libertäre, geldlose Gesellschaft, die die Burner kreieren, ist in seiner Größe, wenn auch nur temporär, beeindruckend und beispiellos. Für einen Teilnehmer des Gesellschaftsexperiments ist Burning Man sogar “the ’60s done right.”

Burning Man kommt aus dem Nichts, verschwindet ins Nichts, aber fördert Alles zutage: ein Theaterstück in acht Tages-Akten, ein riesiges Tausch-und Schenkritual, das Spiel-mir-das-Lied vom-Tod und Ich-zeig-Dir-den-Rest-deines-Lebens, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, eine Freak-Show von Ex- und Introvertierten, die Potlatch-Performance einer modernen Gesellschaft, eine Reise in die Tiefen menschlicher Unvernunft, materialisiertes Traumgewebe, zur Schau getragene Kunst, gelebte Science- und Love Fiction, aber es ist vor allem eine tragisch-komische Ode an das was unser Leben wie nichts anderes bestimmt: Tod und Wiedergeburt. Larry Harvey, der Gründer sagte einmal: “Burning Man is not about making the world better but make the world more real”.

Mehr Infos auch zu Tickets und zum unablässlichen Survival Guide auf der Burning Man Homepage und Burning blog.

Hier ein Interview mit Larry Harvey, dem Gründer Burning Mans über die Ökonomie des Schenkens.

Ein Video, in dem der Künstler in einer time elapse Burning Man 2009 eingefangen hat, gibts hier

Tausende von genialen Bilder von Burning Man hier.




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